Körper – Person – Bewusstsein
Die elementaren Dinge des Lebens spüren wir unmittelbar als körperliche Zustände. Das gilt ebenso für Schmerzen, Hunger, Müdigkeit und Depression wie für Freude, Lebenskraft und sinnliche Ekstase. Unser Körperbewusstsein ist wesentlich Prozessbewusstsein. Die hier relevanten Prozesse sind verschiedener Art. Dazu gehören etwa tägliche Rhythmen wie Wachen und Schlafen, wiederkehrende Zyklen wie Gesund- und Kranksein oder längerfristige lineare und irreversible Verläufe wie Wachsen, Altern und Sterben. Für bewusstseinsbegabte und umweltsensible Lebewesen wie wir es sind haben physische Prozesse eine "gefühlte Innenseite", wodurch körperliche Zustände (z. B. farbenblind, invalid oder in einem Burn-out befindlich zu sein) immer schon eine mentale Präsenz und Wirksamkeit haben: Körperliche Zustände sind uns nicht lediglich von außen zuschreibbar. Wir wissen darüber hinaus wie es ist, in diesen Zuständen zu sein.
Diese Aspektdualität und Einheit von Körper und Bewusstsein ist sowohl Gegenstand umfassender theoretischer Reflexion (z. B. mit Bezug auf das Zusammenspiel von Emotion und Kognition im menschlichen Verhalten, die Unterscheidung von Leib und Körper, die Qualia-Thematik oder die Theorie der Psychosomatik) als auch Gegenstand umfassender praktischer Bestrebungen zur Selbstgestaltung und Manipulation menschlichen Lebens. Zu den letzteren gehören z. B.: Genetic Enhancement, Anti-Ageing Produkte, Doping, Resilienz- und Selbstwirksamkeitsstrategien, psychotherapeutische Interventionen, moralische Selbstbestimmung als Zugriff auf und Verantwortung für eigene Gefühls- und Verhaltensdispositionen.
In theoretischer und praktischer Hinsicht geht es um nichts weniger als um unser Selbstverständnis, das wir, aufbauend auf der uns vertrauten Einheit/Differenz von Körper und Bewusstsein, wesentlich als Personsein erfahren. Keiner der hier involvierten Begriffe - Körper, Bewusstsein, Person - ist unproblematisch und unumstritten. Dies ist offenkundig, wenn wir etwa an Debatten über Hirntodkriterien denken oder an Debatten über Besitz- bzw. Verfügungsrechte am eigenen Körper (z. B. Selbstverstümmelung, Prostitution, Abtreibung, Euthanasie) sowie über traumatisierende Integritätsverletzungen (z. B. Kriegserlebnisse, sexueller Missbrauch) und öffentliche Angriffe auf Personen (z. B. Cybermobbing, Stalking). Integrale Konzepte von Körper/Bewusstsein/Person stehen zumeist auch im Hintergrund von Diskussionen, die stärker auf einen der genannten Begriffe fokussieren. Das ist etwa der Fall, wenn über die "Queerness" moralischer Intuitionen als spezifisch menschlicher, aber angeblich nicht-natürlicher Erkenntniskräfte diskutiert wird oder über die soziale Wirksamkeit und Erklärbarkeit kollektiver Gefühle und kollektiver Intentionalität in Anbetracht solcher Phänomene wie Massenhysterie, Panik, Ressentiments, Sektenbildungen. Ebenso stehen integrale Konzepte menschlicher Existenz im Hintergrund, wenn über eine speziell und ausschließlich Personen zuerkannte Würde bzw. Autonomie und, im Zusammenhang damit, über den Vorwurf des Speziezismus verhandelt wird oder über spirituell überhöhte bzw. theologisch fundierte Personbegriffe nachgedacht wird.
Wie die oben genannten Beispiele verdeutlichen, zeichnet sich der vorliegende Forschungsbereich einerseits durch große thematische Vielfalt und genuine Interdisziplinarität sowie andererseits durch seine gesellschaftspolitische, intellektuelle und persönlich-existenzielle Brisanz aus. Unter dem Titel "Körper - Person - Bewusstsein" wollen wir verschiedenartige Forschungsprojekte vernetzen, die sich wahlweise geisteswissenschaftlicher, sozialwissenschaftlicher und naturwissenschaftlicher Methoden bedienen. Zu den durchaus intendierten und produktiv auszutragenden "Bruchstellen" einer in diesem Themenkreis tätigen interdisziplinären Forschung gehören: quantitative vs. qualitative Forschungsmethoden (z. B. Beobachtung vs. Teilnahme); deskriptive vs. normative Dimensionen der Kategorisierung des menschlichen Körpers im öffentlichen Raum; Normalität vs. Pathologizität des Bewusstseins/des Körpers/der Person.
Koordinatorinnen
Ulla Kriebernegg, Sonja Rinofner